Ausstellung / Gabriela 9/16
EIch kam im August 2019 an [und] die Soziale Explosion war im Oktober 2019, also hieß es: „Ahhhh, was tun? Wie helfen?“ Es gab schreckliche Anklagen von Menschenrechtsverletzungen… „Alter, das ist nicht bekannt… Läuft das hier im Fernsehen? Was läuft denn eigentlich?“ Und natürlich, ich erinnere mich, dass erste, was ich gesehen habe, war eine Notiz in Heute [Anm.: österreichische Gratis-Tageszeitung]: „Schreckliche Proteste in Chile wegen der Anhebung der Öffi-Fahrscheine um 30 Pesos.“ Und ich: „Nein! Nein, so ist das nicht!“ Und die erste Aktion von Chilenen, die ich sah, war die von Lastesis hat [Anm.: Lastesis sind ein chilenisches feministisches Kollektiv, das seit seiner Gründung 2017 mit zahlreichen Performances großen Einfluss auf die globale feministische Bewegung hat, unter anderem mit der Performance „El violador en tu camino“ („Der Vergewaltiger auf deinem Weg“)] und da [war klar]: „Ok, da muss ich dabei sein!“ Und dort lernte ich Chile Despertó [Anm.: Organisation aus dem Kontext der Proteste seit 2019] kennen… und davor, für den 11. September dieses Jahres… na, in Chile machte ich normaler Weise bei einer der Erinnerungsveranstaltungen mit, die letzten Male, indem ich im Nationalstadion sang. Und daher [sagte ich mir:] „Gut, ich muss diesen Schmerz mit jemandem gemeinsam durchmachen“, denn jedes Jahr muss ich das in irgendeiner Art mit jemandem gemeinsam durchmachen und ich konnte mir nicht vorstellen, in Wien zu sein – und keinen kümmert es, dass du einen Tag erlebst, der ziemlich schrecklich ist. Und so schauten wir schnell nach und [sahen:] „Na, jedes Jahr versammeln sie sich zur gleichen Stunde bei der Büste von Allende.“
Und da kamen wir hin, und: „Ah, Chilenen“! Und da lernten wir die Exil-Gruppen kennen und [die hatten] das gleiche Gefühl: „Hör´ mal, was immer du brauchst… was auch immer…“ Ich habe festgestellt, dass es für Frauen viel leichter ist zu migrieren als für Männer. Das ist eine Theorie, und vielleicht hat jemand etwas darübergeschrieben, aber ich denke, dass man als Frau schon jede Menge Privilegien nicht hat und sich in einem Grundzustand der Verwundbarkeit befindet. Das ist [ein Privileg], das die Männer verlieren, wenn sie migrieren, denn wenn die Männer in ihrem eigenen Territorium sind, haben sie absolut alle Privilegien. Aber wenn ein Mann ein Migrant ist, verliert er auf einmal eine Menge dieser Privilegien… Und ich glaube, dass es deshalb für die Männer schwieriger ist zu migrieren als für die Frauen. Für mich ist es egal, ob du mir sagst: „Wir müssen nach Italien gehen, dann gehen wir nach Italien. Wir müssen nach China gehen, gehen wir nach China.“ Ich weiß, dass ich immer in einer verwundbareren Situation sein werde als andere, und ich habe schon gelernt, mit dieser Verwundbarkeit zu leben und die typischen Anzeichen zu bewältigen. Also, wenn ich wachsam sein muss, ich weiß nicht… wenn ich in einen Bus einsteige… Es gibt jede Menge mentale Arbeit, die eine [Frau] sowieso leistet, zum Beispiel: „Wo kann ich mich hinsetzen, wo kann ich mich nicht hinsetzen? Wenn ich hierbleibe, bin ich nahe am Fahrer und kann ihm etwas sagen… Ah, aber wenn der Fahrer eher ein Macho ist, ist das vielleicht eine schlechte Idee…“ Dieser ganze geistige Film, den man hat, ist supernützlich, wenn eine [Frau] migriert, weil sie gefährliche Situationen schon von viel weiter identifizieren kann und eine Menge Lebensrettungsstrategien hat, die dir sehr nützlich sind in einem anderen Land.
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