Ausstellung / Gabriela 6/16
[Im Vergleich zu Chile] gibt es [hier] wenige Möglichkeiten für Verbindungen, für Networking. Du siehst, dass manche Leute 6.000 Euro im Monate verdienen, und du kennst niemanden, der soviel Geld verdient. Und dann hat Wien einen Lebensstandard, aber du kennst niemanden, der den hätte, und das lässt dich sofort verstehen, dass du quasi eine andere soziale Schicht bist, fast ein bisschen in Notlage. Ich sage gern „Notlage“, denn wir haben kein Asyl und sind nicht in der Lage von Flüchtlingen, nicht? Aber wir müssen genauso die ganze Zeit [Probleme] lösen wie: Was geschieht, wenn die Miete ein bisschen steigt? Denn das ist schon schrecklich, wenn sie steigt. Als die Stromrechnungen kamen, erwarteten wir alle das gleiche: Wo sollen wir dieses Geld herbekommen? Und wir gaben einander Informationen: „Schau, wenn du mit diesem Chat da redest, sagt er dir… sie können dir eine Herabsetzung besorgen, wenn du den Tarif wechselst.“ […] Jetzt habe ich schon vor, in Österreich zu bleiben. Vorher war es immer ein bisschen so: „Ok, das ist eine Erfahrung, die kann fünf Jahre dauern, sie kann zehn Jahre dauern, sie kann fünfzehn Jahre dauern, aber die Idee ist immer, zurückzukehren und ein bisschen von dem, was ich gelernt habe, nach Chile zurückzubringen.“ Es ist ja auch der Großteil meiner Familie in Chile, meine einzige Familie hier ist mein Partner. Nach der Situation mit den „Verfassungsbemühungen“ in Chile hieß das für uns: „Ok, es ist nicht möglich, nach Chile zurückzukehren.“
Jedes Mal, wenn ich daran denke, nach Chile zurückzugehen, muss sich materielle Bedingungen einstellen, die mir keine Rückkehr erlauben. Und natürlich, wenn ich Mineningenieurin oder so wäre oder im Gesundheitssektor arbeiten würde, dann wäre es natürlich möglich, ein Leben in Chile zu haben. […] Es bedeutet mehr Opfer und man verzichtet auf eine Menge soziale Rechte, um in Chile zu leben, aber wenigstens bist du bei deinen Lebensmenschen und hast dein Unterstützungsnetzwerk, nicht? Aber für mich – und ich wage zu sagen, für uns – ist das keine Möglichkeit. Denn wenn ich nach Chile zurückgehe, müsste ich wieder mit meiner Mutter leben und als Kellnerin, als Rezeptionistin arbeiten. Oder, wenn ich als Sängerin arbeite, dann weiß ich, dass sie mir viel weniger zahlen als hier. Wenn sie mich überhaupt bezahlen, denn in Chile musste ich die Welt in Bewegung setzen, damit sie meine Arbeit als Sängerin bezahlten und auch für Gesangsunterricht. Also, die Bezahlung ist viel niedriger und das Land ist viel teurer, und es wird noch teurer, weil die Reformen nicht schnell genug kommen – und so habe ich das Gefühl, das ist nicht möglich. Jedes Mal, wenn ich nach Chile blicke [mit dem Gedanken:] „Ui, wie gerne ginge ich zurück!“ – nein, nein, es geht noch nicht, es geht noch nicht. [Also heißt das für mich:] „Gut, das war´s, ich bleibe hier und nehme es mit der Ruhe.“ weiter lesen