Ausstellung / Evia Pulgar 17/18

Meine Idee, meinen Enkelinnen und Enkeln aufzuschreiben, welche die Wurzeln unserer Familie sind… Woher wir kommen, wer wir sind… Denn ich sage ihnen immer, dass sie auch Chilen_innen sind, weil sie noch klein sind, sie wissen es nicht. Sie haben sehr viele Wurzeln, die Familie meines Sohnes ist chilenisch-russisch, der Großvater meiner Schwie­ger­tochter ist Koreaner. Es ist also eine Mischung. Die anderen Enkelkinder sind deutsch, österreichisch, chilenisch. Es ist also eine Reihe von Mischungen. Aber für mich ist es wichtig, dass sie wissen, woher ihre Großmutter kommt, ihr Großvater und dann auch ihre Mutter. Gabi ist sehr chilenisch. Nun, zuerst gab es Radio Moskau, das wir alle hörten. Und von hier aus… ich weiß nicht, wie sie uns gezeigt haben, diesen Sender zu finden. Es tat uns sehr leid, was [in Chile] geschah, und wir haben sehr gelitten. Ich erfuhr alles, was in Chile passierte, erst indem ich Chile verließ, denn dort war alles tabu, alles war geheim. Und dann begann ich, alle Bücher zu lesen, die herauskamen, und was die Menschen über die Erfahrungen erzählten. Ich habe auch das Buch der Menschenrechtskommission gelesen, das mich sehr bewegt hat. Ich habe die Politik in Chile immer verfolgt. Wir haben die Kampagne des derzeitigen Präsidenten unterstützt. Es war sehr aufregend, als Präsident Boric gewonnen hat. Es war auch für uns ein Triumph, denn manchmal haben wir hier in Österreich trotz großer Kälte Foto-Aktionen und Wahlkampf gemacht. Zum Glück habe ich eine Tochter, die sehr aktiv in chilenischen Dingen ist, obwohl sie hier geboren ist. Nach so vielen Jahren fängt man an, Wurzeln zu schlagen, und wir erwarteten das Ende der Diktatur so sehr, und plötzlich merkt man: Wow, es gibt keine Ausrede, zurückzukehren, die Familie zu sehen und alles.

Normalerweise sparte ich ein Jahr, um nach Chile zu fliegen. Als ich das erste Mal mit den Kindern dort war, war es unglaublich. Wieder in mein Haus zu kommen, mit den Kindern. Meine Eltern, meine Geschwister, meine Neffen und Nichten zu sehen, alle zusammen. Und meine Kinder... Gabi kannte meine Eltern nicht, aber es war Liebe auf den ersten Blick. Besonders bei meinem Vater, weil sie ihn sehr an mich als kleines Kind erinnerte. Er war die ganze Zeit bei ihr. Meine Mutter war eher streng, sie war nicht so eine Oma-Oma, vor allem nicht mit Rodrigo. Aber ja, die Kinder hatten eine tolle Zeit. Sie haben mit Dreck gespielt, sie haben auf der Straße gespielt. Und dann kam der Schock für sie: „Mama, warum haben sie keine Schuhe?“, „Mama, warum sind sie die ganze Zeit auf der Straße?“, „Gib mir Geld, um ein Cola zu kaufen, wir spielen Fußball und haben Durst!“, und dann kamen alle Kinder. Dann gingen wir zum Friedhof und sahen Kinder im Alter von vier oder fünf Jahren, die Wasser trugen und Autos reinigten. [Unsere Kinder] waren geschockt, aber sehr. Sie waren sehr traurig, sie wollten allen Bettlern Geld geben, allen. Und die Kleidung: „Mama, gib ihnen unsere Kleider!“ Denn in dem Viertel, in dem ich wohnte, gab es alle möglichen Leute. Es gab sehr arme Leute. Es gab Leute aus der Mittelschicht, denen es besser ging. Also gingen sie auf die Straße und spielten mit den streunenden Hunden. Sie spielten mit den Kindern ohne Schuhe. Sie haben alle möglichen Erfahrungen gemacht. Es gefiel ihnen, sie wollten nicht nach Österreich zurück, denn sie fühlten sich frei im Garten, gruben Löcher in die Erde, sie gruben alles um im Garten meines Vaters. Und alles war neu für sie: Das Meer! Sie hatten das Meer noch nie gesehen. Die Strände. Also mochten sie Chile, das Essen, alles.
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