Ausstellung / Margarita Alonso 9/17

Aber das Schlimmste ist, wenn man die Sprache nicht beherrscht und ein Kind bekommt und die Geburt vorbei ist, ist alles in Ordnung. Aber dann kommt der Moment, wo man einen Krampf bekommt. Ein Krampf in der Leiste. Und sie nehmen dein Bein, um es hochzuziehen, um dich zu fesseln, um dich zu nähen. Und du sagst: „Calambre! Calambre!“, und sie haben keine Ahnung, was calambre heißt [Anm.: „Calambre“ ist das spanische Wort für Krampf]. Und das war schrecklich, schrecklich. Aber sie sagten mir: „Beruhigen Sie sich, beruhigen Sie sich!“, und dass sie mir eine Spritze geben würden, und dass der ganze Schmerz verschwinden würde. Ja, und gesagt – getan. Alles ging weg, ich vergaß alles. Und plötzlich war ich in den Wolken. Und plötzlich fühle ich etwas, ich halte es fest und sage: „Mein Sohn ist wunderbar.“ Und am nächsten Tag um sieben Uhr morgens kamen René und Tom. Die Krankenschwester kommt ins Zimmer und sagt zu mir: „Zwei Männer kommen, um Ihren Sohn zu sehen. Welcher von ihnen ist der Vater?“ Und sie kommen beide mit Blumen herein. Das war sehr schön. Ich hatte vor lauter Aufregung überhaupt nicht geschlafen. Ich habe zwei Tage und zwei Nächte lang nicht geschlafen, vor lauter Freude. Es war wunder­schön. Im Mutter-Kind-Pass stand „Knabe“ und ich sagte „Ohhh, aber wieso haben sie das Kind so genannt?“ Und mit meiner Freundin Betty, die mir beim Übersetzen half, ging ich hin und sagte: „Nein, mein Sohn heißt Tomas, nicht Knabe.“ Da ist mir ein Licht aufgegangen, um Gottes willen, Knabe, weil er ein Junge war. Und ich dachte zuerst, sie hätten seinen Namen geändert. Stellen Sie sich die Missverständnisse wegen der Sprache vor. Und ich habe die Kinder auch in den Kindergarten gegeben. Als Tomasito in die erste Klasse kam, sah ich mir die Schule an. Sie hat mir überhaupt nicht gefallen. Ich fand sie dunkel, schreck­lich, und die Lehrerin war eine schreckliche Frau. Mein Gott, ich erinnerte mich irgendwie daran, wie ich als Mädchen im Internat war. Es war, als ob man weglaufen wollte. Und Tomasito musste diese Schule besuchen. Jedoch gab es ein Problem, denn die Lehrerin schlug den Jungen. Ich ging zu ihr und sprach mit ihr. Und ich habe ihr gesagt, was für eine Lehrerin sie ist. Also ging ich zur Schulaufsichtsbehörde. Und ich sprach mit der Dame und sagte: „Ich möchte eine Frage stellen. Ist es hier in Österreich erlaubt, dass ein Lehrer ein Kind schlägt?“ Sie sagte: „Nein, nein, das machen wir hier nicht, warum?“ „Weil das meinem Kind passiert ist und ich denke, dass das keine gute Pädagogik ist.“ Also sagte sie: „Nein, hier sind wir dafür, dass zuerst die Lehrer, dann die Eltern und dann die Kinder kommen.“ Die Sache ist die, dass ich von einer anderen Schule erfuhr und ihn in die Pädagogische Akademie in Strebersdorf brachte.

Es war so belastend, dass der Junge erkrankte und ins Krankenhaus kam, und diese Lehrerin, die ihn ge­schla­gen hatte, zu ihm ging und sich entschuldigte. Am Ende hat man sie rausgeschmissen. Ich nutzte mein Ferien- und Weihnachtsgehalt, um den Kindern einen besseren Anreiz zum Lernen zu geben. Deshalb habe ich sie in ein Institut gebracht, Karl, glaube ich, hieß es. Karl-Institut, das war ungefähr dort, wo heute das Instituto Latinoamericano ist. Und genau dort traf ich eine andere Freundin, die Argentinierin ist und deren Sohn auch in diesem Institut war. Und ich sagte: „Na ja, das Geld war nicht schlecht angelegt, denn schließlich verschlingt Tomasito Bücher und weiß alles.“ Später war es für ihn nützlich. Er selbst sagte zu mir: „Mama, das war wirklich etwas sehr Positives für mich.“ Jetzt ist er ein Montessori-Pädagoge. Wir wohnten in Mödling und ich hatte natürlich immer gearbeitet, also wollte ich auch mein eigenes Geld verdienen. Also haben wir das Kind in einen Kindergarten gegeben, und ich habe als Putzfrau in einem Privathaushalt gearbeitet. Das war mein erster Job. Nein, mein erster Job war an einem Wiener Institut, als Schreibkraft, das heißt, ich tippte. Ich habe auf Englisch oder Spanisch oder Deutsch getippt. Was anfiel, das musste ich ordentlich und sauber aufschreiben. Und dann wurde dieses Institut geschlossen, ich weiß nicht, was daraus geworden ist. Natürlich haben wir, wie gesagt, 1980 den Antrag gestellt und am 18. Dezember 1980 unsere Staatsbürgerschaft erhalten. Unsere Tochter wurde am 2. Dezember geboren. Nun, von da an waren die Probleme, eine Arbeitserlaubnis zu beantragen, vorbei. Deshalb haben wir es gemacht – um „rechtsstaatlich“ zu sein, weil ich, als ich im Rahmen der Familien­zusam­men­führung kam, kein Asyl angenommen habe. Mein Horizont hat sich erweitert. Bei der Arbeit wurde auch eine Party für mich veranstaltet, weil ich bereits die Staatsbürgerschaft hatte. Da wir Österreicher sind, nehmen wir an allen Wahlen teil: Prä­sident­schafts­wahlen, Parlamentswahlen usw.

Ich verließ Chile mit dem Wissen, dass ich nie wieder zurückkommen würde. Es war wie ein „Nein“. Es war eine so große Enttäuschung. Trotz der Familie und allem kam es mir nie in den Sinn, nach Chile zurück­zu­kehren – bis jetzt. […] Meine große Zuflucht war das Lesen, Schreiben und Malen. Das war etwas, das meine Seele erfüllte. Ich begann ‘97 zu malen. Ich habe auch eine Website erstellt. Schon ‘92 hatte ich eine eigene Webseite. Dort lud ich meine Bilder nach und nach hoch. Wie ein Portfolio.
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