Pensionistin in Eggenburg | Interview geführt von Rayen Cornejo Torres am 6. Juni 2023 | Interview transkribiert von Rayen Cornejo Torres | Übersetzung aus dem Spanischen von Gabriela Jorquera
Mein Name ist Margarita Navarro Picó. Das ist der Name, der in meiner Geburtsurkunde in Chile steht. Als ich nach Österreich kam, habe ich den Namen meines Mannes angenommen, weil ich die Staatsbürgerschaft erworben hatte. Ich wurde 1951 in Valparaíso geboren, ich bin jetzt 72 Jahre alt. Wir waren fünf Geschwister, plus eine Halbschwester, die 24 Jahre alt war, als ich geboren wurde. Meine Kindheit bestand aus sechs Jahren Internat. Meine Schwester, da sie älter war, gehörte zur Gruppe der älteren Mädchen und ich zur Gruppe der jüngeren Mädchen. Ich verließ das Internat im Alter von elf Jahren, schwach und mit Anämie. Es war eine sehr strenge Zeit, in der man nicht rausgehen durfte. Man durfte seine Mutter nur einmal im Monat sehen. Wenn man krank wurde, gab es keinen Besuch. Es war wie ein Gefängnis, wenn man so will. Aber die Mutter dachte, es sei gut für unsere Erziehung. Sie musste arbeiten und sie war Witwe. Ich meine, ich wurde vier Tage nach dem Tod meines Vaters geboren. Es war ein schrecklicher Schmerz, die Kinder allein aufzuziehen. Es war ein großer Kraftakt für meine Mutter. Und um uns eine Ausbildung zu ermöglichen, zog sie es vor, dass wir in guten Händen waren. Denn alle Eltern wollen das Beste für ihre Kinder, auch wenn sie keine Ahnung haben, was in diesen Mauern vor sich geht. Das bin ich.
In den 1970er Jahren, ich erinnere mich, war ich im Jahr der Matura. Und in diesem Jahr wurde eine Volkszählung durchgeführt. Wir Gymnasiasten mussten an der Volks- und Wohnungszählung teilnehmen, wir zogen durch die Stadtteile und über die Hügel. Und da ich in einem Internat aufgewachsen bin, wusste ich gar nichts. Ich wusste nur von der Kirche, von Gott, von den Nonnen, von der Bitte um Vergebung, ohne wirklich zu verstehen, warum. Als ich im Alter von elf Jahren das Internat verließ, war ich glücklich, weil ich nach Hause laufen konnte. Am nächsten Tag konnte ich zu Fuß zur Schule gehen. Das war eine unglaubliche Freiheit, aber ich hatte keine Ahnung von irgendetwas. Ich ging einfach nach Hause und zur Schule. Und als ich dann auf das Gymnasium ging, wurde ich eine Andere, es hat mein Leben verändert. Aber ich war trotzdem glücklich, ich habe meine Freiheit genossen, abgesehen davon, dass ich sehr kindlich war. Ich war ein Nonnenmädchen. Als ich an der Reihe war, die Volkszählung durchzuführen, wurde mir die Armut in all den Vierteln bewusst, denn ich hatte die Realität, in der die Bevölkerung lebte, ohne angemessene Infrastruktur, nicht wahrgenommen.
Und jedes Mal, wenn ich... nun, ich war zweimal in Chile, Chile tut mir weh, weil ich mich daran erinnere. Und als ich in Chile war, habe ich gesehen, dass diese Viertel immer noch dieselben sind.
Und nun ja, nach dem akademischen Eignungstest habe ich sofort einen Job gefunden, denn wenn man an der Universität aufgenommen wird, dauert das Verfahren seine Zeit. Mit anderen Worten, es wurde im Dezember abgeschlossen, aber erst nach den Feiertagen kam die Liste derjenigen heraus, die angenommen wurden. In der Zwischenzeit habe ich in einem Büro gearbeitet, während ich auf eine Antwort wartete. Letztendlich wurde ich für das Englischstudium in Valparaíso und für Bibliothekswissenschaft in Temuco angenommen. Also sprach ich mit meiner Familie, und mein älterer Bruder, der eifersüchtig war, weil seine Schwester nach Temuco ging, sagte mir: „Nein, wir haben kein Geld“, weil wir für die Unterkunft und all das bezahlen mussten. Und ich beschloss, nicht zu studieren, weil ich natürlich mit Tom zusammen war. Und natürlich wollte er nicht, dass ich irgendwo hingehe. Also habe ich, als brave Nonnenschülerin, meinen Kopf gesenkt und gesagt: „Okay.“
Ich blieb in Valparaíso und arbeitete weiter als Aushilfe in den Büros von Importaciones Químicas. In der Nähe meines Hauses befanden sich die Büros der Zeitung El Mercurio. Ich beobachtete die Mädchen, die schrieben, die Schreibkräfte, diejenigen, die sich unterhielten, die ganze Zeit tratschten. Manchmal sahen sie mich an und ich winkte. Eines Tages ging ich zu meiner Patentante, und siehe da, da war das Mädchen vor mir, die vom Mercurio. Sie war die Nichte meiner Patentante. Und ich sagte zu ihr: „Hey, ihr seid die ganze Zeit am Lachen, und wann arbeitet ihr?“ „Nein“, sagte sie zu mir, „wir haben eine Menge Arbeit, wenn du dich bewerben willst.“ Ich bewarb mich für ein Vorstellungsgespräch und sie nahmen mich an. Das war also das Sprungbrett zum Mercurio. Das war ein Glücksfall, genau zum richtigen Zeitpunkt. Und ich war glücklich. Es war ’71 oder ’72, da wurde veröffentlicht, dass ein Universitätsstudent, der an einer Demonstration teilgenommen hatte, ein Waffenarsenal besaß und Alkohol und Zigaretten schmuggelte. Und als ich das gelesen habe, habe ich gesagt: „Ach, das kann doch nicht sein.“ Und da wurde mir klar, dass die Dinge wirklich verzerrt werden im Mercurio. Wir hatten die Angewohnheit, dass Tom mich jeden Tag um 22 Uhr anrief, in der Zeitung. Dann, eines Tages, als wir uns bei ihm zu Hause treffen sollten, kam er nicht. Das war Ende Juli. Und das war nicht normal. Meine Arbeitskollegen zum Beispiel, wir waren ungefähr zehn oder elf, wenn es 22 Uhr war und das Telefon klingelte, sagten alle in der Fotokomposition Abteilung: „Kontrolle, Maggi, Kontrolle!“ Und es war Tom. Aber an diesem Tag gab es keinen Anruf. Und ich war sehr besorgt. Also sagte ich: „Aber wie kann es sein, da Tom an keinen Tag vergessen hat mich anzurufen, seit wir ’68 eine Beziehung angefangen haben?“
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