Ausstellung / Javiera Montenegro 7/12
Obwohl sie auf dem Einwanderungsamt sehr sympathisch waren und ich keinerlei Probleme hatte, schien es mir doch, als hätte die Frau dort einen Kommentar abgegeben, der mir nachher im Kopf herumging, so etwas wie: „Ah, endlich eine andere Nationalität und kein Jugoslawe oder Türke.“ Das war Diskriminierung, oder? Als gäbe es unter den Einwanderern eine Skala und du bist, „ah, aus Chile!“ „Aus Chile, aus Südamerika… […] Wow! […] Hierher kommen nur Leute aus Jugoslawien oder Serbien oder was weiß ich woher…“ Also, wie gut, dass sie sympathisch zu mir war, aber trotzdem: Wie schlimm! […] Schockierende Dinge habe ich erst mit der Zeit entdeckt, am Anfang ist man so erstaunt von dem System. Aber jetzt, bei meiner Arbeit im Integrationsbereich, gibt es auch Dinge, die nicht gut funktionieren, auf kultureller Ebene gibt es auch Nischen des Rassismus, es gibt Gender-spezifische Gewalt gegen uns, gegen die ganze Community. Es ist sehr beruhigend zu wissen, dass mein Sohn Zugang zu guter Bildung hat. Dass ich nicht 50 Stunden pro Woche arbeiten muss […], um das zu bezahlen wie […] die Leute in Chile. Denn wenn du eine volle Stelle hast, arbeitest du 44 Stunden, jetzt haben sie das kürzlich auf 40 Stunden reduziert, glaube ich. Aber es reicht nicht und als Arbeiter, als Arbeiterklasse, noch weniger. Also musst du mehr Stunden arbeiten, um… Nein, deshalb bin ich wirklich sehr zufrieden, dass ich diese Möglichkeit habe. […] Es würde mich von Herzen freuen, meine Familie wieder in der Nähe zu haben und meine herrliche Natur, die Anden und das Meer, den Pazifik und alles! Aber das reicht nicht für mich […]. Wenn ich nach Chile zurückginge und wieder als Lehrerin arbeiten würde in einem völlig kollabierten System ohne finanzielle Mittel… wo du wahnsinnig viel arbeitest und noch Arbeit mit nach Hause nimmst, die nicht bezahlt wird. Nein, ich bin sozusagen schon völlig indoktriniert im hiesigen Arbeitssystem. Stelle dir vor, ich arbeite jetzt 35 Stunden, also kann ich meinen Sohn abholen gehen und habe ein Leben nach der Arbeit! Ich kann etwas mit ihm unternehmen oder wir gehen in den Park oder gehen nach Hause und tun etwas… […] Ich habe die Vorstellung, mir in Chile ein Grundstück zu kaufen und ein Häuschen zu haben und vielleicht in der Pension wieder nach Chile zu gehen, denn das Land… Diese Verbindung zieht mich doch immer, aber im aktiven Arbeitsleben sehe ich mich nicht nach Chile zurückgehen. […] Wenn wir vergleichen, was du in der Stunde verdienst, dann reicht das nicht, und es tut mir leid, dass das so ist, es tut mir sehr leid. Ich habe meine beste Freundin […], das ist eine Person, mit der ich ich selbst sein kann, ich kann weinen, ich kann schreien, sie hat mich in meinem schlechtesten und in meinem besten Moment erlebt. Ich habe meinen Partner, meinen Ehemann. Ich habe auch meinen Kreis an guten Freunden, die mich aufnehmen und wissen, wann es mir gut geht und wann es mir schlecht geht. Und die Nostalgie und diese Dinge gehe ich auch an, indem ich mit meiner Familie Kontakt halte. Wenn es mir schlecht geht und ich traurig bin, wenn ich sie vermisse, dann rufe ich sie an und weine mit ihnen. Und das ist der Kontakt.
Wir reden nicht jeden Tag miteinander […], aber wir schicken uns Sprachnachrichten […], ein bisschen überholt, aber wir haben eine flüssige Kommunikation. Und wenn es kritisch wird, wenn wir einander schon sehr vermissen, dann gibt es einen Video-Anruf und so. In meiner Erfahrung [der Migration als chilenische Frau] […] habe ich mich bis heute weder in Deutschland noch hier diskriminiert gefühlt […]. Ich habe Kommentare gehört, aber die waren nicht direkt an meine Person gerichtet. Für eine Frau ist es schwer, im ganzen System Fuß zu fassen, und man sieht diese Ungleichheiten, dass du für die gleiche Arbeit weniger verdienst und was weiß ich… […] Aber ich glaube, dass wir als Chilenen in Österreich positiv gesehen werden, wir gehören sozusagen zu Klasse… es sind Leute, die sich schnell in die Arbeit integrieren, die gut arbeiten. […] Und als Frau glaube ich, dass wir überall immer ein bisschen mehr kämpfen müssen […], mit diesen Unterschieden leben und schauen, wie wir sie ertragen oder verändern können. Ich muss sagen, in meiner Arbeit besteht die Belegschaft zu 90% aus Frauen, das finde ich sehr schön […], diese Zusammenarbeit. Wir sind Personen unterschiedlicher Nationalität, es gibt Chilenen, es gibt Ungarn, es gibt polnische Abstammung, was noch? Aus der Türkei und andere. Und trotz unserer kulturellen Unterschiede bringen wir diese Schule voran, mit Motivation, mit Liebe, mit Einsatz, und so eine Erfahrung als Team habe ich in Chile nicht gemacht. Ich glaube die Mutterschaft ist allgemein eine enorme Herausforderung. Und hier, als Migrantin… als chilenische Mutter bringt das einen Konflikt in mir hervor, denn es gibt all diese superflexiblen Erziehungsmethoden, bei denen das Kind ein großes Entscheidungsrecht hat, und ich bin wie Millionen von Memes im Internet: „Ich bin eine Latina-Mama!“ Also nicht, dass ich meinen Sohn einen Hausschuh nachwerfe, ja? Aber meine Erziehungsmethode… ich setze Grenzen. […] Manchmal komme ich in Konflikt [mit] dieser mütterlichen Modernität, der europäischen Modernität der Mutterschaft: Du erhebst gegen das Kind nicht die Stimme, du sagst dem Kind nicht Nein… Das richtet sich quasi gegen meine eigene Essenz und meine eigene Erziehungsweise. Meine Mutter war sehr streng, aber gleichzeitig sehr liebevoll […] und ich bin auch so, ich bin sehr liebevoll mit meinem Sohn, wir lieben uns, wir blödeln herum und all das. Aber wenn es darum geht, eine Grenze zu setzen und zu sagen: „Nein, das nicht!“, dann tue ich das. Und das ist sehr chilenisch oder sehr Latino oder es ist, was ich von meiner Mutter übernommen habe. […] Es ist schwer, diese beiden Erziehungsmodelle sind vollkommen verschieden, und was auch schwierig ist: Ich habe nicht dieses Netz an Unterstützung. Das fehlt dauernd, deshalb […] habe ich so wenig Zeit […] für mich selbst. […] Denn mein Mann arbeitet auch. Manchmal ist er monatelang zu haus, dann ist er monatelang weg, weil er in Projekten steckt. Jetzt zum Beispiel ist er in Deutschland und ich bin allein. Und wer hilft mir in dann? Es ist schwierig. Ich hätte gerne meine Schwester oder meine Mutter oder meine Tanten und könnte ihnen sagen: „Ach, geh ihn du im Kindergarten abholen!“, oder: „Hilf mir!“
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