Ausstellung / Javiera Montenegro 5/12

Ich hatte damals zweieinhalb Jahre in Deutschland gelebt, also konnte ich bei meiner Ankunft hier schon Deutsch. Also, deutsches Deutsch, aus Deut­schland. Als ich hierherkam, musste ich trotzdem neu Deutsch lernen, denn manchmal fragte ich auf der Straße nach etwas und die Leute redeten mit mir und das ist wirklich ziemlich anders. Also sprachliche Hilfs­mittel hatte ich schon, aber öko­nomische… Ich war mit meinen wenigen Erspar­nissen gekommen, die ich ansammeln konnte […], wie viele Migranten, indem ich Wohnungen putzte, Baby­sitting machte und als Verkäu­ferin einer Bio­kosmetik­linie arbeitete und so weiter. Und mit diesem Geld kam ich und das ging mir bald aus, denn viel war es nicht und Österreich ist viel teurer als Deutsch­land. […] Ich erhielt viel Hilfe von seiner Familie, weil wir keine Miete zahlten und es zu essen gab, aber das ist keine angenehme Situation […], weil man das Gefühl hat, sie geben dir alles und du tust nichts, und außer­dem fühlte ich mich nutzlos, weil ich keine Arbeit hatte. ‚Es fiel mir leicht, mich in Wien zu inte­grie­ren […], denn ich hatte Tiare und Tiare lebte schon einige Jahre hier, also übernahm sie quasi eine Paten­schaft für mich und stellte mich vielen ihrer Freunde vor. Alle waren sehr freundlich, sehr sympa­thisch, und so musste ich mir keinen eigenen sozialen Kreis auf­bauen, sondern kam in einen fertigen Kreis hinein und alle nahmen mich sehr gut auf. […] [Aber] es war sehr schwer, mich in der Arbeits­welt zu inte­grie­ren, da hatte ich eine super­große Krise, denn in Deut­schland waren sie irgendwie offener, fand ich […], ausländische Personen in ihre Teams zu integrieren. Und als ich nach Wien kam, sagte ich: „Ich werde ganz schnell Arbeit finden, Spanisch­lehrer suchen sie überall und hier mögen sie Spanisch […]“, und ich schickte Bewerbungen überall hin. […] Und es kam keine Antwort! Da sagte ich: „Was? Sie sagen dir nicht einmal, dass diese Stelle schon besetzt ist oder du über­qualifiziert oder unter­qualifiziert bist.“ Nichts. Dieser Moment war superfrustrierend und sehr traurig und danach senkte ich meine Erwartungen und sagte: „Also werde ich irgendeine Arbeit suchen.“ Und auch nichts! […] Ich war eineinhalb Jahre ohne Arbeit, das war sehr hart, sehr hart, aber immer tauchen Schutzengel am Weg auf. […] Das war eine Freundin, deren Mutter war Direktorin dieses Integrationsinstituts und die suchten jemanden als Küchengehilfin. Sie probierten es einen Tag mit mir und dann hieß es: „Javiera, da du uns beim Kochen nicht helfen kannst, es gäbe die Schüler zu betreuen: ihnen helfen, mit ihnen sprechen…“ Und so fing ich an […] und heute geht es mir sehr gut. […] Ich glaube, wenn diese Person mir nicht diese Möglichkeit gegeben hätte, da einzusteigen, dachte ich daran, nach Deutschland zurückzugehen. […] In diesen Momenten zweifelt man an sich selbst, aber […] solange man die Möglichkeiten hat, tritt diese Resilienz zutage, weiter­zu­kämpfen oder sich anzupassen… Und ich glaube, das hat mich irgendwie dazu gebracht, es weiter zu versuchen und hierzubleiben. Der erste Eindruck von Österreich war, weil ich da als Touristin kam, dass ich es wunderbar fand und sagte: „Was für ein herrlicher Ort!“ […]

Die Architektur war anders als in Deutschland, sie war wunderschön, es war sonnig, da war die Donau, und das beeindruckte mich sehr und war irgendwie ein Plus, um aus Aachen wegzugehen, denn Aachen ist eine sehr regnerische Stadt mit einem sehr ähnlichen Klima wie London. Es war also sehr deprimierend, und als ich im Sommer nach Wien kam, war das wie: „Wow, die Sonne scheint und es regnet drei Tage lang nicht! […] Wie schön!“ Klar, in einem sehr naiven Moment dachte ich, ich würde nach Wien kommen und alles würde funktionieren und letztlich endete ich in diesem Dörfchen. Es war schwierig, aber vielleicht auch, weil ich da ein Karma aufnehmen musste, das nicht meines war, sondern weil bei unserer Familie [hieß] es: „Ah, die sind Deutsche“, und so hatten die Nachbarn keinen Kontakt mit uns. […] Ich hatte nicht viel zu tun. Wir lebten auf einem Hügel, das Haus ist aber auf dem Kamm des Hügels, ein Haus mit vielen An­nehm­lich­keiten, der Garten ist wunderschön, es gibt ein Schwimm­bad und alles – aber es ist isoliert. Es gab keine Interaktion mit dem Nachbarn, und als Latino, als Chilene, grüße ich meine Nachbarn. Ich frage die Frau von oben nach dem Bügeleisen und man redet… Ich mag dieses Grätzelleben und es war schwer für mich, mich anzupassen […] Und deshalb wollte ich schnell aus dieser Dynamik heraus und schnell nach Wien zurück, denn ich sagte: „Ah, aber Wien ist die Haupt­stadt und da gibt es viele Leute und viele Kulturen, also hisst der Nachbar nicht die Super­patrioten­flagge neben dem Haus, was weiß ich… Ich weiß nicht, das Leben auf dem Land hat mich nicht froh gemacht damals. […] Ich glaube, es waren acht oder neun Monate. Das war ein bisschen schockierend, denn meine erste Vision als Touristin war natürlich: Ich komme nach Wien und sehe alles ganz multikulturell, Menschen aller Haut­farben, und dann lebe ich in einem Dorf, wo ich die Exotin war und niemand mich grüßte, nach dem Motto: „Warum lacht dieses Mädchen so viel und trägt bunte Hosen?“ […] Das war ein bisschen hart. [Das Gesund­heits­system] fand ich wunderbar, dass man ins Spital geht, sie dich behandeln, ohne dass du etwas zahlst, nur die E-Card herzeigst. Da begann ich auch zu entdecken, wie das System hier funktioniert, das Sozial­system, das Versicherungs­system, das Pensions­system. […] Du arbeitest, du zahlst Steuern, wenn auch hohe, aber du hast eine Unterstützung hinter dir, die es in Chile nicht gibt. Wenn du einen Notfall hast, musst du zahlen und wenn du operiert wirst, musst du einen Blanko-Scheck hinlegen. Jetzt sollte das eigentlich nicht mehr so sein, aber ich hatte eine Spitalserfahrung in Chile, da mussten sich meine Eltern verschulden und Bingo spielen, damit ich mich operieren lassen und gesund werden konnte. Verglichen mit hier – also wirklich! Ich wurde operiert, war drei, vier Tage im Krankenhaus, mit Essen, mit Fernsehen, sie sahen auf mich. Und dann kam die Rechnung und ich sagte: „Uff, mal sehen, was es kostet.“ Und ich glaube, ich musste ungefähr 50 Euro zahlen, fast nichts… kein Material­einsatz, keine Essen, keine Tagesgebühr für das Bett, nichts… Also es war alles gedeckt und das war quasi „Wow!“… Der erste Eindruck vom hiesigen Gesundheits­system war superpositiv.
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