Ausstellung / Gabriela Carmen Estevez Fuentes 4/15
[Ich habe eine frühkindliche Erinnerung an Chile], weil wir viel bei meiner Großmutter waren. Also da weiß ich noch, wie das ungefähr ausgeschaut hat. Dass das so ein Backsteinhaus war mit einem Garten, das ist eine bildliche Erinnerung. Und natürlich, wo wir gewohnt haben. Da weiß ich, da hatten es meine Eltern geschafft, dass sie eine Wohnung bekommen haben, die sie langsam abgezahlt haben, dass sie dann irgendwann in ihr Eigentum übergeht. Und da hatte ich ein eigenes Zimmer, kann ich mich noch erinnern. Das war eigentlich für mich in meiner Erinnerung eine relativ große Wohnung […], viel größer, als die Wohnung tatsächlich ist. Und die Erinnerung […] – vom Geruch her sind das die Paradeiser. Also wenn man an so einem Blatt reibt oder am Stängel… der Geruch, den diese Paradeiser haben. Als mein Vater nach Österreich gekommen ist, mussten wir natürlich alles verkaufen. Da ist auch wer anderer in diese Wohnung eingezogen und wir sind dann aufs Land zur Familie von meiner Mutter gegangen. Und dort hab’ ich immer wieder so frische Paradeiser gekriegt von meiner Tante. […] Das ist das, woran ich mich erinnern kann. Immer wieder, wenn ich irgendwo so einen Geruch von Paradeisern [wahrnehme], dann erinnere ich mich an diese Phase meines Lebens. Und sehr traurig war das schon, wie wir das verlassen mussten und alles verkaufen mussten. Weil… Da kann ich mich an so eine Schlüsselsituation erinnern, wo meine Mama irrsinnig geweint hat, wie die Waschmaschine abgeholt wurde. Da weiß ich, da war sie, glaube ich, im Badezimmer, am Boden ist sie gesessen und hat irrsinnig geweint. Und das war so eine alte Waschmaschine, noch dazu mit Kurbel […] na, aber das war so irgend so ein Schlüsselmoment. Ich weiß nicht tatsächlich, ob es wirklich so war, aber das ist eine Erinnerung, die ich hab’, wo meine Mama sehr verzweifelt war. Und wahrscheinlich hat das gar nicht wirklich mit dieser Waschmaschine zu tun gehabt, sondern generell, glaub’ ich, vielleicht war’s das letzte Stück, was noch weggetragen wurde, und da kam dann die Trauer ein bisschen bei meiner Mutter hoch und an das kann ich mich erinnern. Ich feierte einige Tage [vor dem Staatsstreich] meinen ersten Geburtstag. Meine Mutter lag im Spital wegen einer geplanten Operation und mein Vater sollte ihr am 11. September 1973 einige Sachen bringen. Während mein Vater bei meiner Mutter war, passte eine Nachbarin auf mich auf. Als mein Vater ankam, wurde meine Mutter entlassen und sie wussten nicht, warum. Man sagte nur, dass alle Patienten, die gehen konnten, entlassen werde. Im Fernsehen brachten sie einen Befehl der Militärs nach dem anderen. Die Militärs und die Ordnungskräfte haben die Regierung abgesetzt und die Macht im Staate übernommen. Im ganzen Land wurde der Kriegszustand ausgerufen. Männern war es verboten, lange Haare, und Frauen, Hosen zu tragen. […] Ich kann mich nur erinnern, was mir erzählt wurde. […] Also das Einprägsamste, was ich weiß, ist, dass mein Vater 1975 von dem Militär von der Arbeit abgeholt und verhaftet wurde.
Mit […] anderen Mitarbeitern. Und meine Mutter, sie hat natürlich zu Hause auf ihn gewartet. Doch er kam nicht heim. Und dadurch haben sie, glaube ich, schon gewusst, dass da irgendetwas passiert sein muss, und sie sind dann mit meiner Großmutter zu Gefängnissen gegangen und haben versucht, meinen Vater zu finden. Und sie hatten großes Glück. Sie haben sich durchgefragt und schlussendlich doch meinen Vater gefunden. Damals war ich drei Jahre alt.
Er war drei Monate in Haft. Er war in der Partei der Christlichen Linken. Und man hat geglaubt, dass er eine Führungsposition hatte, deswegen wurde er 1975 von den Militärs mitgenommen und verhaftet. Und natürlich hat mein Vater auch sehr Viele gekannt. Er wurde auch ausgefragt über verschiedenste Parteimitglieder. Und mein Vater hat das dann halt so gemacht, dass die Informationen, die er weitergegeben hat, über Leute waren, von denen er wusste, dass sie nicht mehr am Leben sind beziehungsweise nicht mehr im Land sind. Also er hat versucht, möglichst wenig preiszugeben. Er wurde nicht gefoltert, was ein großes Glück war. Was mir erzählt wurde: Er kam doch in einen Raum, wo dieses… dieses Gitterbett war ohne Matratzen und mit den Elektroden, aber er wurde nicht dorthin gelegt. Also, das hat ihm natürlich sehr viel Angst gemacht. Ja? Aber er wurde öfters befragt und sehr schlecht behandelt. Er hat gemeint, er wurde nicht gefoltert. Aber er wurde in dem Sinne schon gefoltert, weil er halt vieles mitbekommen hat von anderen Häftlingen, die in diesem… Das war eine kleine Zelle, wo er die Schreie seiner Mitgefangenen mithörte. […] Und mein Vater hat gemeint, dass die Folterung für ihn mehr psychisch war, was auch schlimm genug ist. In die Zelle kamen einige Gefangene nicht mehr zurück, da sie umgebracht wurden. Beziehungsweise man hat auch Schreie wegen der Folterungen gehört. Mein Vater wurde am 23. April 1975 entlassen, da dem Militärrichter kein Grund zu einer Anklage vorlag. Der Verdacht auf extremistische Tätigkeiten wurde fallen gelassen. Er ist dann wieder zurück zur Firma. Nur, diese Firma hat dann nicht mehr den ursprünglichen Besitzer. […] Die Faschisten haben sozusagen auch diese Firma übernommen. Und da ist es meinem Vater schon sehr, sehr schwer gefallen zu arbeiten. […] Er fand dann eine Arbeit bei der Zeitung der Regierung, wo er als Schreibkraft tätig war. Das Gehalt war sehr gering. […] Und meine Mutter hatte natürlich Angst, dass sich das vielleicht wiederholt, auch. […] Sie bekamen Warnungen und anonyme Anrufe, die ihnen Angst machten. Mein Vater hatte große Angst, neuerdings verhaftet zu werden. [Er] schaffte es 1977, in Österreich Asyl zu bekommen. Meine Eltern gaben durchs Radio durch, dass sie den ganzen Hausrat verkaufen. Dies reichte für die Anzahlung der Flugtickets. Meine Oma nahm noch ein Kredit auf, um den Rest bezahlen zu können. Meine Eltern vermieteten die Wohnung und somit konnten die Raten für die Flugtickets bezahlt werden. weiter lesen