Ausstellung / Evia Pulgar 3/18

Mein Vater mochte Salvador Allende sehr, er war in keiner politischen Partei, er war nie regis­triert oder so, aber er sprach mit uns immer über Präsident Allende. Und er sprach auch nach dem Putsch mit uns über all die Dinge, die vorgingen. Und die Wahrheit ist, dass ich bis heute nicht weiß, woher er davon wusste, denn für uns, wenn er im Haus mit gedämpfter Stimme darüber sprach, was passierte, schien es fast unglaublich. Wir konnten es nicht glauben. Ich begann dann, das alles zu glauben, als ich sah, wie er mit den Menschen sprach, die all die Folter­ungen […] durchgemacht hatten. Ich habe es erst ge­sehen, als ich hier in Österreich ankam, denn in Chile hat man nicht laut darüber gesprochen. Ich erinnere mich an eine Anekdote, die ich einmal erlebte, als ich in meiner Schuluniform vor einer Polizeistation vorbei­ging. Ein Polizist an der Tür, der Dienst hatte, war respektlos zu mir, weil er mich ansprach und ich ihm nicht antwortete, sondern an ihm vorbeiging. Und dann rief er mir zu, ich solle ihn grüßen, mit einem Schimpf­wort. Ich erinnere mich, dass ich in die Polizei­station ging, die in der Nähe meines Hauses war, und zu seinen Vorgesetzten ging, um zu sagen, dass sie den Cara­biñeros in den Schulen keinen Respekt beibringen, weil sie uns nicht respektieren. Aber damals war mir nicht klar, in welcher Gefahr ich mich befand, denn sie hatten die ganze Macht […], aber bis heute spüre ich […] eine sehr große Ablehnung gegenüber Unifor­mierten – welche Uniform auch immer es ist. In den Radios wurde martialische Musik gespielt, und überall herrschte Chaos. Aber gut, am Anfang hat niemand das Ausmaß dessen berechnet, was kommen würde. Und man hatte in jenen Tagen große Angst, denn es herrschte Ausgangssperre. Es gab wenig zu essen. Aber nach ein paar Tagen tauchten alle Lebensmittel in den Geschäften auf. Man konnte nicht mehr auf die Straße gehen. Ich hatte Angst, weil mein Vater noch arbeitete, ob er es schaffen würde oder nicht.

Aber die Wahrheit ist, dass wir mit 17 oder 18 Jahren noch nicht erkannten, was auf uns zukommen würde. Ich glaube, dass sowohl die Jungen als auch die Erwachsenen und selbst die Alten nicht erkannten, was auf sie zukommen würde, das Massaker, die Folter. […] Auch die Angst, ob Eltern zu Hause ankommen oder nicht. Denn sie konnten sie ohne Grund festnehmen, weil sie Lust dazu hatten, sie verschwinden zu lassen. Sie hatten die Macht in ihren Händen. Einige der Lehrer, die uns Geschichte beigebracht haben, sind verschwunden, ich habe sie nicht mehr gesehen. Niemand stellte irgendwelche Fragen. Als ich erwachsen und reifer wurde, wurde mir klar, was mit ihnen geschehen war – dass sie verschwunden waren. Und obwohl ich noch jung war, fand ich das alles sehr ungerecht. Schrecklich ungerecht. Ich begann, eine Ablehnung zu entwickeln. Es störte mich, dass ich mich überall von den Soldaten eingeschüchtert fühlte, die auf der Straße waren. Dass wir nicht mehr frei waren. Und gleichzeitig lehnte ich auch die Klasse ab, die das alles unterstützte. Ich habe einen Halbbruder, der viele Jahre lang in den Büros der Marine in Valparaiso arbeitete, zusammen mit seiner Frau. Beide waren Zivilisten, aber sie arbeiteten bei der Marine. Der Kontakt war auch deshalb sehr sporadisch, weil sie nie begriffen haben, was sie getan haben. Sie weisen alle Argumente zurück, die man ihnen präsentieren kann, und zwar mit Fakten. Für sie ist es immer eine Lüge, es ist eine Täuschung, was andere ihnen erzählen: Es sei nicht so gewesen. Auch in dieser Hinsicht war er, was die Familie betrifft, die einzige Person, die mit dem Regime einverstanden war. Und die Wahrheit ist, dass es ihnen seither wirtschaftlich sehr gut ergangen ist. Sie haben eine Menge Dinge angehäuft.
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