Ausstellung / Daniela Bichl 4/14

Meine Großeltern sind damals 1978 [nach Öster­reich gekommen], mein Großvater schon ein Jahr vorher. Also diese klassischen Exilgeschichte, dass der Vater, in dem Fall der Vater meiner Mutter, schon ein Jahr vorher geflüchtet ist. Und […] nachdem er dann Asyl in Österreich bekommen hat, konnte die Familie nachreisen, das war meine Großmutter mit ihren drei Kindern. Eine davon ist meine Mutter, die war damals 15 Jahre. Viele [Chileninnen und Chilenen haben] in einem Flüchtlingslager in Vorderbrühl gewohnt und ich selber […] hab’ dort nicht mehr gelebt, weil meine Mutter […] vor meiner Geburt schon selber geheiratet hat, aber meine Großeltern haben noch dort gelebt. Also Feste, Geburtstagsfeiern, Nationalfeiertag – diese Geschichten wurden dort alle gefeiert und so war es wie ein kleines Mini-Chile, würd’ ich sagen…
[…] Meine Mutter hat einen Österreicher geheiratet, einen Kärntner, und für ihn war das – also so, wie er das erzählt – ja auch wie eine Reise nach Chile nach Vorderbrühl ins Flüchtlings­lager zu fahren, weil dort haben wir alle Spanisch gesprochen, dort wurde chile­nisch gekocht und Musik aus Chile gehört.
1970, als eben Salvador Allende mit der Unidad Popular gewonnen hat und die Regierung übernehmen konnte, das war eine Freude für meine Familie und sie war auch Teil dieser Gruppe – sag’ ich jetzt –, die viele Hoffnungen […] hatte, […] dass die Gesellschaft in Chile gleicher, gerechter wird. Es hat sich dann natürlich zerschlagen mit dem Militärputsch 1973, und mein Großvater hat das immer mehr von einer politischen Seite erzählt, also er persönlich wurde jetzt nicht poli­tisch verfolgt, es war dann mehr […] der wirt­schaft­liche Aspekt, würd’ ich sagen… Obwohl ich find’, dass man das nicht getrennt voneinander beurteilen kann, weil in Chile, wenn man einen andern Mindset hatte und das auch bekannt […] war, dann […] gab’s einfach Probleme in der Arbeit oder man hat ständig diese Angst gehabt, dass irgendwas passieren könnte.

Und am Anfang… ich hab’s halt einfach immer so gehört: Der Putsch war 1973. Es war halt eine Schockstarre, dass die Moneda, der Regierungssitz, bombardiert wurde… […] Trotzdem wurde davon ausgegangen, also auch von meiner Familie, dass ein paar Monate, vielleicht ein, zwei Jahre dieser totale Ausnahmezustand sein würde. Aber […] 1977 hat sich mein Großvater entschieden, dann doch zu gehen, weil es war absolut nicht absehbar, dass das bald zu Ende sein würde und er hat ja recht gehabt. […]
Sie haben in Valparaíso gelebt in einem Haus und […] mein Großvater hat am Hafen gearbeitet und meine Großmutter hatte einen Markstand. […] Ja, also sie waren prinzipiell [eine] klassische Mittelklasse-Familie. [Nach dem golpe waren sie unsicher], die Arbeit auch zu behalten… oder ständig Angst zu haben, denunziert zu werden. Haus­durch­suchun­gen war’n ja an der Tages­ordnung… toque de queda, also Ausgangs­sperre… Und ich fand das interessant, als wir die Corona-Pandemie hatten: Defacto hieß es ja nicht Ausgangs­sperre, aber es gab dann Zeiten, wo wir dann nicht mehr aus dem Haus gehen sollten und ich hab’ bei meiner Mutter bemerkt, dass das eine totale Re­trauma­tisierung in ihr ausgelöst hat und sie wirklich Angst bekom­men hat, weil sie gesagt hat, sie hätte sich nie gedacht, dass sie in einem Land wie Österreich wieder mit einem toque de queda konfrontiert sein würde. Und sie hat das auch total ernst genom­men, also auch wenn wir uns gesehen haben, und sie hat dann schon auf die Uhr geschaut und gesagt: „Es ist jetzt schon 19 Uhr und alle müssen gehen.“ […] Sie hat das total ernst genom­men und ich habe gemerkt, ja: Diese Ängste, diese […] Todesangst – es ist auch nicht übertrieben zu sagen: Todesangst –, die sie noch aus Chile hatte, die dieser toque de queda mit ihr… gemacht hat, das hat sie hier total retraumatisiert einfach. […] Also einfach diese ständige Angst zu haben, irgendwann könnte jemand entführt werden, könnte jemand gefoltert, umgebracht werden…
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