Ausstellung / Daniela Bichl 12/14

[Mein Mann] hat eine burgenländische… [Migra­tions­geschichte]. Ja, also wir haben diese Verbindung, er ist auch in Wien geboren, […] seine Eltern sind aus’m Burgenland und meine Mutter halt aus Chile, mein Vater aus Kärnten. Und das ist für uns interessant, weil wir sind beide in Wien geboren und leben auch hier in Wien und unsere Eltern sind eigentlich nicht in Wien verwurzelt […] Mein jetziger Mann hat mich auch in vielen Dingen Chile näher gebracht. Er kann selber sehr gut Spanisch. Er hat, bevor wir zusammengekommen sind, selber viel Zeit in Mexiko verbracht. Und für mich war das immer ein langgehegter Traum, mal länger nach Chile zu gehen, aber […] das zu organisieren war dann doch irgendwie zu… zu groß für mich, ich weiß auch nicht warum. Aber er war wirklich voll dahinter, dass wir das machen und wir […] haben zwei lange Chileaufenthalte gemeinsam gemacht, bevor unsere Kinder auf die Welt gekommen sind. Und das find’ ich interessant, weil mein erster [chilenischer] Boyfriend, der hat mich Chile nah­gebracht, aber in der chile­nischen Diaspora, und mein Mann eigentlich dem echten Chile. [Der Begriff „Integration“] hat für mich eine sehr negative Konnotation, weil ja diese Erwar­tungs­haltung da ist, dass das nur in eine Richtung gehen kann. Man hört immer wieder den Ausdruck: „Na der und die, na die sind eh ok, weil die sind eh ganz fleißig.“ Also man muss sich als Migrant, als Migrantin immer 150 Prozent beweisen, dass man wertvoll ist in dieser Gesellschaft. […] Wir sehen das ja an unseren Eltern, wie hart die hier auch gearbeitet haben oder noch immer arbeiten… und da fragt man sich schon: Was muss man in diesem Land eigentlich leisten oder was muss man eigentlich machen, um gleichwertig behandelt zu werden? Weil im Zweifelsfall, wenn irgendwas nicht so läuft, wie sich’s die Mehrheits­gesellschaft vorstellt, wird das in 99 Prozent der Fälle auf die Herkunft zurückgeführt. […] Wir haben [letzthin] Urlaub am Bauernhof gemacht und es war für mich eine andere Erfahrung, als ich mit meiner Mutter dort war, als wenn ich jetzt nur mit meinem Mann und meinen Kindern dort bin, weil du dann doch irgendwie wie so ein Paradiesvogel dort auffällst. […] Am Land in Österreich, wenn man da Urlaub macht, sind fast nur österreichische Familien zu sehen… [Und] ich kenn’ beides, ich kenn’ das ohne meine chile­nische Familie und mit, und es ist dann einfach anders mit der chile­nischen Familie, man wird ganz anders wahr­genom­men, negativ wahr­genom­men in erster Linie. Ich [ar­bei­te] in einem gemeinnützigen Büro. […] Ich hab’ die Diplomarbeit geschafft, aber es war schon ein Kraftakt und… was man von vielen Arbeiterkinder auch hört: Wenn du die erste bist, die maturiert, die erste bist, die studiert – du hast einfach keinen Weg, der dir geebnet ist und auch keine Sozialisierung, die dir da hilft, und du hast immer das Gefühl, […] dass du dort eigentlich nicht hingehörst und dass es eher so ein Zufall ist oder vielleicht auch dieses Gefühl: „Ok, bis hier her hat’s vielleicht noch geklappt…“ Also ich hab’ das sehr schwer fassen können, als ich tatsächlich die Uni abgeschlossen hab’ … Ja, geht man schon da rein’ das zu machen, aber irgendwie hat man immer wieder auf dem Weg das Gefühl, irgend­wann wird’s dann doch auffliegen, so als ob man irgendwas angestellt hätt’, so: „Ich bin da, aber ich sollt’ gar nicht da sein. […] Irgendwann wird das auffliegen oder irgendwann […] werd’ ich doch an die Grenzen stoßen, die mir meine Sozialisierung und meine Herkunft vorgeben sozusagen. [Ich identifiziere mich] in einer positiven Art und Weise [als Angehörige der Arbeiterschicht], etwas was früher schambehaftet war. Also ich hätt’ mir auch gewünscht, dass meine Eltern Ärzte sind oder Anwälte oder […] Architekten…

Früher hab’ ich das nicht gern gesagt, dass meine Mutter putzen geht, ja, oder dass mein Vater Tischler ist, das war mir unangenehm eigentlich. Und jetzt hat sich das total gewandelt, jetzt bin ich total stolz drauf, weil ich mir denk’: [Das] sind halt die Menschen, die das Leben, die das Land aufrechterhalten und die sich nicht zu schade sind für sowas und auch alles für ihre Kinder geben, für ihre Familie. Chile war immer sehr weit, also schon allein von der Distanz her, weil ein Flug nach Chile bedeutet sehr viele ökonomische Ressourcen in die Hand nehmen zu müssen. Mein Vater sagt ja auch immer, […] es war für ihn sowas Besonderes. […] Er war der einzige in seinem Umfeld – ich meine, er ist ja auch Arbeitermilieu –, der nach Südamerika [reiste]. Das war halt 1990, das ist ja nicht so wie jetzt: So, man steigt ins Flugzeug. Es war ja nicht die Welt so globalisiert wie jetzt […]. Die haben da einen Kredit aufgenommen […] – die Flüge für uns als Kernfamilie – zwei Erwachsene, zwei Kinder […] – haben damals 100.000 Schilling gekostet. […] Ich weiß nicht, wie viele da noch einen guten Begriff für haben, aber das war einfach wirklich viel Geld. […] Ja, der hat lang diesen Kredit zurück­bezahlt… Also, dann hat man wieder auf andere Sachen hier verzichtet. Ja, man hätte auch anderes damit… aber ja… Deshalb sag’ ich, es ist ökonomisch ein sehr großer Kraft­akt und auch zeitlich, dort hinzu­fliegen. Und deshalb bin ich erst im Erwachsenen-Alter… Und das war für mich immer so eine Sehnsucht, dann auch die Studienzeit, die Uni-Zeit dafür zu nutzen, auch wirklich länger dort zu sein […] für mich, mir selbst ein Bild mache zu können… Also einerseits war es eine große Freude, als Gabriel Boric Präsident geworden ist und dass überhaupt dieser Prozess in Gang kommt, also das ist halt auch [immer] so ein Cultural Clash mit Chile. Das […] hab’ ich auch [gemerkt], als ich als Erwachsene jetzt alleine dort war… Ich habe immer wieder gehört: „Naja, bei euch in Österreich, da ist ja die Bildung und die Gesundheit, die ist ja gratis.“ Und ich hab’ gesagt: „Naja, das ist halt ein Missverständnis. Das ist nicht gratis, das ist öffentlich, das ist ein großer Unterschied, weil wir zahlen sehr viele Steuern, also wenn ich mir meinen Gehaltszettel anschau’ oder jeder Supermarkt­einkauf… das kommt halt auch nicht irgendwo her. Das ist einfach anders geregelt.“ Diese Sensibilisierung, hab’ ich das Gefühl, […] ist in der Breite der Gesellschaft nicht wirklich da. Das ist halt so: „Ja, Europa ist halt so ein Schlaraffen­land, da wird uns alles geschenkt.“ Aber das ist so ein Unverständnis, wie das sein kann, […] es ist irgendwie dieses Gefühl für öffentliche Versorgung nicht da. […] Und da [ist] noch immer dieses Schreck­ens­gespenst – das hat man auch bei […] der verfas­sungs­gebenden Versammlung gemerkt – diese Angst vorm Kommunismus und dieses Gleichsetzen: öffentliche Versorgung bedeutet Kommunismus, Marxismus… [Das ist] noch immer sehr stark da, leider. […] Das war der Versuch der internationalen „Chile despertó-Community“ […], eine Sensibilisierung dafür zu schaffen, dass wir, die in Europa leben, das so a bissl an die Menschen in Chile vermitteln können, wie Sozialdemokratie zum Beispiel funktioniert oder wie das bei uns geregelt ist oder dass diese Angst vielleicht nicht gerechtfertigt ist. Aber, da […] muss man dann, find’ ich, sehr aufpassen, weil das wird oft auch so wahrgenommen als […] Bevormunden […] – dass wir glauben, wir leben in Europa und […] dass man sie auch belehren möchte: „Bei uns ist alles besser und warum machts ihr es nicht so wie wir?“ Und dann ist auch oft so eine Grenze: „Ja, ihr lebts euer Leben dort, schön für euch, aber wir leben es so, wie wir wollen.“ Also ich find’, das ist auch schwierig manchmal da, so die richtige Verbindung auch zu finden, so dass sich niemand vor den Kopf gestoßen fühlt.
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